LAURA (1944) von Otto Preminger

Laura (Otto Preminger, 1944)

Vincent Price hat in seiner langen Karriere in mehreren Kriminal-Thrillern mitgespielt, die der Schwarzen Serie oder dem Film Noir zuzurechnen sind, so neben Laura u.a. in Leave Her to Heaven (1945), His Kind of Woman (1951) und zuletzt The Heart of Justice (1993). Doch davon gilt heute nur Otto Premingers Laura als Klassiker dieser wohl faszinierendsten, anspruchsvollsten und düstersten aller Film-Strömungen Hollywoods; ein Film, der in einer Reihe mit Meisterwerken wie Edward Dmytryks Murder My Sweet (1945), Robert Siodmaks Criss Cross (1948) oder Joseph H. Lewis Gun Crazy (1949) genannt wird.

Laura weist alle Stilmerkmale des Film Noir auf: Eine skeptisch-pessimistische Grundstimmung, gebrochene und desillusionierte Helden vom Schlage eines Sam Spade, ausnahmslos zwielichtige Charaktere, die männerverschlingende Femme Fatale, eine kammerspielartig ablaufende Jagd nach dem Kriminellen und natürlich bedrückend klaustrophobisch anmutende dunkle Gassen, Treppenhäuser und Räume, auf deren Wänden sich die harten Schatten des Interieurs und der sich beinahe traumwandlerisch bewegenden Protagonisten abzeichnen. Obwohl Laura ein ungewöhnlich hell ausgeleuchteter Film Noir ist, zerfällt auch in ihm, wie stets in den Filmen der Schwarzen Serie, die Wirklichkeit in traumartige Sequenzen, Einstellungen und Bilder, in Rückblenden und visuelle Trümmer, in denen sich Pessimismus, Grauen und düstere Obsessionen manifestieren.

Aber Laura ist dies alles und noch viel mehr. Zunächst ist der Film eine bittere, beißend zynische Studie über die Männerwelt der New Yorker upper class mit ihren Blendern, eingebildeten Gigolos, Intriganten und beinahe unerträglich dekadenten Salonlöwen. Laura ist selbstverständlich auch ein Kriminal- und Liebesfilm; doch vor allem handelt er vom Verlorensein und von der Kälte des in bedingungsloser Egozentrik gefangenen modernen Menschen, von seiner Unfähigkeit, in dem anderen mehr zu sehen als nur das eigene Wunschbild.

Dass Laura “einer der berühmtesten aber doch eigenständigsten Filme der Schwarzen Serie” wurde, wie Hahn/Jansen schreiben, lag wohl vor allem an Otto Preminger, der, von der Fox anfänglich nur als Produzent vorgesehen, ebenso wie Studioboss Darryl F. Zanuck mit den zunächst von Rouben Mamoulian gedrehten Szenen höchst unzufrieden war. Mamoulian, ein vor allem visuell denkender Regisseur, wurde bald von Preminger ersetzt, der selbst die Gründe dafür angab: “Rouben kannte nur nette Leute. Ich verstand die Charaktere in Laura. Sie waren alle Lumpen, genau wie meine Freunde.” “Ich hatte gewisse Zweifel bei Laura“, so Vincent Price, “nicht etwa, weil ich gedacht hätte, dass die Story nicht großartig war oder dass die Rollen nicht großartig waren… Aber wir hatten eine Menge Probleme, denn der Produzent schmiss den ursprünglichen Regisseur Rouben Mamoulian raus und übernahm selbst die Regie. Und er hatte recht. Aber die Besetzung, jeder von uns, verstand damals wirklich nicht, was falsch gelaufen war. Und als wir zum Arbeiten zurückkamen und das ganze Ding mit einem anderen Regisseur neu drehten, waren wir wirklich verärgert, da wir nicht sahen, was dieser eigentlich tat. Es war Otto Preminger. Er aber steht für die Unterschiede in dem Film, die aus ihm einen Erfolg gemacht haben… Denn Otto verstand diese Art Leute. Und der ursprüngliche Regisseur, der ein wirklich sehr guter Regisseur war, hat sie nicht verstanden”.

“Diese Art Leute” in Laura, das sind Waldo Lydecker (der großartige Clifton Webb), ein unglaublich egozentrischer New Yorker Star-Kolumnist (“In meinem Fall ist Egozentrik absolut gerechtfertigt. Ich habe noch keinen Gegenstand entdeckt, der meiner Aufmerksamkeit würdig wäre”), der in seiner protzigen Penthouse-Wohnung den abgeklärten “Hard Boiled”-Kriminalbeamten Lt. Mark McPherson (Dana Andrews) empfängt. Die Werbeleiterin Laura Hunt (Gene Tierney) ist in ihrer Wohnung tot aufgefunden worden, das hübsche Gesicht von einer Schrotladung zerissen. McPherson erfährt von Lauras Gönner Lydecker, dass diese aufs Land fahren wollte. Nebenher erwähnt Lydecker herablassend ihren Liebhaber, “eine männliche Schönheit in Bedrängnis”, den aalglatten Salonlöwen Shelby Carpenter (Vincent Price), der sogleich unter Verdacht gerat (“Ich bin wohl der geborene Verdächtige, nur weil ich kein konventioneller Typ bin”). In Lauras Apartment sucht McPherson nach Indizien, er liest Lauras Tagebuch und verliebt sich bald in das sich in seinem Inneren aufbauende Bild von ihr, symbolisiert von einem übergroßen Portrait – dann tritt Laura wie ein Gespenst plötzlich persönlich in die Wohnung.

Sie weiß nichts von einem Mord, war tatsächlich in ihrem Landhaus, um dort zu überlegen, ob sie Shelby heiraten sollte. Es stellt sich heraus, dass die Tote Diana Redfern ist, eine Modell aus Lauras Agentur, mit der Shelby ein Verhältnis hatte. McPherson scheinen nun alle verdächtig: Laura, Shelby, der eifersüchtige Lydecker und Lauras Tante Anne Treadwell (Judith Anderson), eine alternde Nymphomanin und eine der zahlreichen Gespielinnen des nichtsnutzigen Weiberhelden Shelby. McPherson verhaftet aber Laura, seltsam unklar bleibt, ob er sie wirklich verdächtigt, nur schützen oder der abgöttisch Geliebten einfach nur nahe sein will. Schließlich klärt sich der Tathergang auf: In der dunklen, leerstehenden Wohnung hatten sich Shelby und Diana getroffen; als es klingelte, machte Diana die Tür auf und wurde erschossen, allerdings konnte Shelby weder den Mörder erkennen, noch der Mörder sein Opfer.

Die Lösung des Falles kommt überraschend: McPherson sieht in Lydeckers Wohnung die gleiche Standuhr, die er bereits in Lauras Apartment gesehen hatte. Zufällig findet er dort einen Hohlraum, fährt in Lauras Wohnung und entdeckt dort die Mordwaffe in einem ähnlichen Hohlraum. McPherson verfolgt Lydecker, doch dieser hängt ihn ab und schleicht sich in Lauras Wohnung, um seinen von krankhafter Eifersucht motivierten Mordplan nun endgültig auszuführen. Als es beinahe schon zu spät ist, stürzt McPherson herein und erschießt Lydecker.

Wie um einen Magneten schwirren die Obsessionen der drei Männer um die Anziehungskraft dieser stets geheimnisvoll bleibenden Frau; doch wer ist diese Frau eigentlich, wer ist Laura Hunt?

Gene Tierney zeichnet in Laura in ihrer neben Leave Her to Heaven wohl besten Rolle eine widerspruchsvolle und seltsam konturlos bleibende, ja beinahe gespenstisch wirkende Figur: sie scheint vergnügungssüchtig und oberflächlich wie Shelby, eitel und snobistisch wie Lydecker und doch auch bodenständig, hart und direkt wie McPherson; es ist tatsächlich so, als ob erst die übereinandergeschobenen, von Preminger bestechend präzise entworfenen Psychogramme der drei Männer (“Alles Lumpen, genau wie meine Freunde”, wie Preminger meinte) das vollständige Bild Lauras ergeben würden. So wird Laura im Laufe des Films immer mehr zu einer rein allegorischen Figur, zu einer Reflexion auf das Frauenbild im Kino sowie die Mythen des Film Noir.

Dieses Aufbrechen des Mythos und des stark schematisiert-vereinfachten Frauenbildes Hollywoods, den Laura wie kein anderer Film dieser Periode symbolisiert, hat Georg Seeßlen sehr gut in seinem Buch “Kino der Angst” beschrieben: “Beide, Mörder wie Detektiv, verfallen im Lauf ihrer Beziehung zu Laura ihrem eigenen Frauenbild, das sie in das Wesen des Opfers hineinzuprojizieren versuchen. Wo dieses Bild der Realität nicht standhält, verwandeln sich die Gefühle in Hass und Verachtung. Lauras ‘Demontage’ ist anders als in vielen Filmen der Schwarzen Serie nicht ein Ernüchterungsprozess, (ein) Abbau von Faszination…, vielmehr schlägt der Widerspruch zwischen ihrer Erscheinung und ihrem Wesen auf die Männer zurück. So ist Laura nicht nur ein typischer Film aus der Schwarzen Serie, sondern zugleich eine Art Kommentar zu ihr und einer jener Filme, die andeuten, dass das Frauenbild der Schwarzen Serie auf Dauer nicht fortbestehen konnte. In Premingers Film richtet sich die Kritik an der bösen/faszinierenden Frau auch auf die Männer, die sich die Frauen nach ihrem Bild schaffen. Das verborgene und neurotisch verkleidete Recht der Frauen auf Entfaltung einer subjektiven Persönlichkeit… tritt hier in den Vordergrund”.

Vincent Price spielt den “Heavy” mit der etwas ruchlosen Vergangheit (“Auf meinem Charakter kann ich mir Flecken leisten, aber nicht auf meinem Anzug”), der sich scheinbar nur auf langweiligen “upper class”-Parties herumtreibt (“Ich verstehe von nichts besonders viel, aber von ungefähr allem ein bißchen”), sehr überzeugend und genau so, wie ihn McPherson und Laura beschreiben, als “ziemlich vagen Typen”, von dem “man immer nur das Schlechteste annimmt”. Aber Premingers ständiges psychologisches Wechelspiel in Laura gilt auch für die Charakterisierung Shelby Carpenters: Ebenso wie sich die Figur Lauras erst in den sie vergötternden Männern verdichtet, spiegelt sich das Wesen Shelbys in einer Frau, Lauras Tante Anne Treadwell wieder, beispielsweise, wenn diese zu Laura auf einer Party, bei der ihre Rückkehr gefeiert wird, meint: “Shelby ist besser für mich, weil ich ihn mir leisten kann. Er taugt nichts, aber ich will ihn einfach. Ich bin kein angenehmer Mensch und er auch nicht; er weiß, daß ich weiß, daß er nun eben das ist, was er ist; und er weiß, daß es mir egal ist. Wir gehören zusammen, weil wir beide schwach sind”. Price ist als Shelby Carpenter in der Tat genauso windig, vage und undefinierbar, wie es diese brillante Umschreibung suggeriert. So wurde seine Rolle in Laura eine erste beeindruckende Bestätigung für seine schauspielerische Anpassungsfähigkeit, bedenkt man seine sonst so wuchtige Präsenz auf der Leinwand.

Laura ist als Film tatsächlich “perfekt”, wie Price meinte: Kamera, Darstellungen, Schnitt und Musik – unvergessen dabei: David Raksins und Johnny Mercers Titelsong “Laura” (“Nicht gerade klassisch, aber hübsch”, bemerkt Carpenter hierzu) – rechtfertigen die nicht weniger als sechs Oscar-Nominierungen; aber trotz aller Perfektion hat der Film seine Ecken und Kanten, unterscheidet sich angenehm von den vielen konturlosen und technisch routinierten Großproduktionen Hollywoods der vierziger jahre. Leider schnitt die Fox eine Szene mit Price heraus, in der dieser auf einer Party, umgeben von seinen vielen Verehrerinnen, den Frank Sinatra-Song “You’ll Never Know” singt.

Der Schauspieler hielt viel von Gene Tierney, seiner Dauerfilmpartnerin zu dieser Zeit, mit der zusammen er auch noch in Hudson’s Bay, Leave Her to Heaven und Dragonwyck zu sehen war: “Sie war wundervoll, ich liebte sie. Sie war auf eine einzigartige Weise schön und sie war der Grund dafür, dass Laura so populär wurde”. Später, als ein auf Horror-Rollen festgelegter Darsteller, erinnerte sich Price immer sehr gerne an Laura, stolz darauf, in einem der ganz großen Kinoklassiker mitgespielt zu haben; aber gerade der weitere Verlauf seiner Karriere gab diesen Erinnerungen zuweilen einen, wenn auch nicht verbitterten, so doch wehmütigen Unterton. “Laura beförderte zwei oder drei wirklich außergewöhnliche Karrieren: Die Clifton Webbs, da es sein erster Film war. Clifton war der gütigste Mensch, den ich jemals in meinem Leben getroffen habe. Und er machte mit Sicherheit aus Dana Andrews einen großen Star. Gene Tierney war schon auf dem Weg dorthin, aber mit Laura wurde sie wirklich ein Super-Star”, so erzählte Price noch 1987, im Rückblick vielleicht ein wenig betrübt an diese große Karrieren denkend, da er selbst bei der Fox im Grunde nie über den undankbaren Status eines vielbeschäftigten Ensemble-Darstellers hinausgekommen war.

 

 

(Auszug aus: Die Kontinuität des Bösen – Vincent Price in seinen Filmen, München 2000, S. 59-65. copyright 2000 by Robert Zion/belleville)

 

Bild-/Tonträger:

DVD: Laura (20th Century Fox, Cinema Premium 2005), Ton: Deutsch/Englisch, Bildformat: 4:3 – 1.33:1. 2 DVDs. Extras: 16-seitiges Booklet. Audiokommentare von David Raksin, Jeanine Basinger und Rudy Behlmer. Dokumentation: “The Obsession” (13 min., USA 2005, Making-Of, mit den Filmhistorikern James Ursini, Alain Silver, Carl Franklin, Drew Casper und John Morgan); Dokumentation: “Gene Tierney: A Shatterd Portrait” (44 min., USA 1999, u.a. mit Richard Widmark, Pat Byrne, Oleg Cassini, Christina Cassini, David Raksin); Dokumentation: “Vincent Price: The Versatile Villain” (44 min., USA 1997, u.a. mit Roger Corman, Norman Lloyd, Dennis Hopper, Roddy McDowell, Jane Russell).

Soundtrack-CD: David Raksin/Alfred Newman: Laura (Kritzerland, 2013)

Hits: 1633

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