UNA LUCERTOLA CON LA PELLE DI DONNA (1971) – Lucio Fulcis giallo für die Ewigkeit

Una lucertola con la pelle di donna (A Lizard in a Woman’s Skin, Lucio Fulci 1971)

Zuerst, ganz kurz nur, die Theorie und die Praxis. Zur Theorie. Was ist das Kino? In seinem Text zum Kino L’acinéma just zu Beginn der siebziger Jahre schrieb Jean-François Lyotard: „Kinematograph heißt Einschreibung, Aufzeichnung von Bewegung. Da wird mit Bewegung geschrieben“. Dies und dass das Begehren, so Lyotard, nicht als Mangel (von etwas) verstanden werden muss, sondern rein affirmativ, als Libido, Intensität, Energie. Das ist die Theorie des Kinos, des reinen Kinos („pure cinema“), wie es hier von Lucio Fulci geschaffen wurde.

Die Praxis ist der damals hochaufgeregte Autor, der zu Beginn der achtziger Jahre zu den über 1,6 Millionen Kinobesuchern hierzulande gehörte, die den noch erleuchteten Kinosaal betraten, um sich den „heißen Scheiß“ der Saison, den „zweiten Zombie“ anzuschauen: Woodoo – Die Schreckensinsel der Zombies (1979). Die Praxis ist die daraus entstandene Legende dieses Namens: „Fulci“, für den Menschen hinter dem Namen selber Segen wie Fluch, für die Behörden bald Zensurpraxis, für uns in der Folge sich wiederholende Sehpraxis: geöffnete und sich verflüssigende Körper, zerstörte Gesichter, unheilschwangere Chöre, dräuende Nebel und immer wieder Zooms, Blicke, Augen.

Nicht einen Schimmer hatte man als Horrorfan damals von der Kunst, zu der die Italiener das Kino zu Anfang der siebziger Jahre erhoben hatten, von der Intensität und Energie, von den psychologischen Abgründen und gesellschaftlichen Hintergründen, von der unfassbaren Schönheit, der Sinnlichkeit und formalen Hoheit. Was man bekam waren bereits Manierismen, exploitative Genre-Muster als Überbietungswettbewerbe sowie Vermarktungsstrategien.

Und natürlich jederzeit den Anlass zum „Expertengespräch“ darüber, dass „der bereits verboten“ und ein anderer „im Original noch viel härter“ sei. Ging man mal wieder aus dem Kino raus, entschuldigte man die zuvor nicht selten eingetretene Langeweile mit der Bemerkung: „Der ist wohl ziemlich geschnitten“. Man hatte nicht wirklich Ahnung von dem, was man da als späte Schattenwürfe eines filmischen Aufbruchs bewunderte.

Lucio Fulci war garnicht das, was man aus ihm und er aus sich gemacht hat, der Buhmann der hysterischen „Horrorvideo“-Debatte, er war einer der großen Maestri des Kinos, von L’acinéma, des Einschreibens von Bewegung, der Intensitäten, der Libido, der Schönheit – wie Bava, Leone, Martino, Argento. Dass er mit diesen selbst heute noch so gut wie nie genannt wird, das war der Fluch seines Erfolges 1979, eines späten Erfolges, hatte er seit 1953 doch bereits unzählige Drehbücher geschrieben und über dreißig Filme gedreht. Vier dieser Filme Lucio Fulcis bis dorthin sind seine vier gialli für die Ewigkeit: Una sull’altra (1969), Una lucertola con la pelle di donna (1971), Non si sevizia un paperino (1972) und Sette note in nero (1977).

Una lucertola con la pelle di donna

Fulci folgt in Una lucertola con la pelle di donna der Logik des Traums, der temporären Psychose. Das Freudianische wird vom ihm tatsächlich eingelöst und dabei vollständig ins Audiovisuelle übersetzt. Wir werden gleich zu Beginn in diesen Traum getaucht, durch den Traum Carol Hammonds (Florinda Bolkan) von einer Verführung durch Julia Durer (Anita Strindberg), dann von Carols Mord an Julia, beobachtet von augenlosen Zeugen. Doch Eros und Tod, Verführung und Mord, Ausführen und Beobachten, sind hier dasselbe. Die Bilder sind präzise, in satte Farben getaucht, Fulci zeigt nicht einfach Schauwerte, er besetzt Intensitäten, unser Begehren in verlangsamten Bildern. Es sind bald wir, die da Träumen, von dieser Haut, den Gesichtern, es sind wir, die mit dem Messer eindringen. Es sind wir, die diesen Verführungsmord dann wie ein Standbild anordnen und somit einzufrieren versuchen, um das, was sich doch nur im Moment erfüllt, ikonenhaft für die Ewigkeit festzuhalten.

Wenn es überhaupt ein Ideal des Kinos der siebziger Jahre und insbesondere des italienischen in seiner ganzen Sinnlichkeit gibt, dann sind dies die ersten zwanzig Minuten von Una lucertola con la pelle di donna. Ein mit der Kamera geschriebenes Gedicht über die Schönheit und den Abgrund dahinter, sinnlich berauschend und im nächsten Moment wieder verstörend. Kino als reiner Eros.

 

Später sehen wir Carol Salvador Dalís Bild “Bacchanale” (1939) träumen, das wir zuvor an ihrer Wand hängen sahen, und wir sehen dabei zugleich mit Alfred Hitchcocks Spellbound (1945) Fulcis Traum vom Kino. Es folgt eine Geschichte über Carol und den Mord, über Hippies und Drogen, es gibt Verwicklungen, Motive, Bedrohungen, den Vater. Am Ende sogar eine Auflösung. Hat Carol Julia wirklich getötet? Darüber schreibt Fulci nun mit der Kamera ein Gedicht, voller vaginaler Symbolik, Musikalität und weicher Rhythmik, von Ennio Morricones brillanter Musik stets verführerisch und umfließend pointiert.

Dalí, Freud, Hitchcock – Lucio Fulci, der Traum vom Kino und der Traum im Kino

Die Kamera kreist um drei Protagonisten, stellt den Vorderen in einer sanften Bewegung in den Hintergund, verändert dabei die Brennweite und wir sind dann scharf auf den fragend blickenden Augen von Carols Mann Frank Hammond (Jean Sorel), auf denen uns Fulci haben will – „Kinematograph heißt Einschreibung, Aufzeichnung von Bewegung” (Lyotard). Diese Übersetzung eines Dialogs, der Konstellation und Psychologie der Figuren in reine Räumlichkeit und Bewegung – solch eine Brillanz, sie ist im Kino eine kostbare Seltenheit.

Und natürlich erleben wir auch das Grauen, nicht als Genre-Versatzstück, sondern als eine tiefere Ebene der Psyche und des Fleisches, des Materiellen wie Immateriellen, aus den betörenden Gesichtern werden die zerstörten, entstellten; die Haut, die die Leinwand zu Beginn in eine – wenn sich so etwas überhaupt über das Sehen sagen lässt – fast schon haptile Oberfläche verwandelt hat, sie wird geöffnet und wir sind mit Francis Bacon plötzlich im Horror des Inneren, der schieren Existenzangst, der Angst vor der sich unserem Ich stets entziehenden Architektur des Fleisches wie der Seele.

Die Psyche und das Fleisch: Bacon und Lucio Fulci

“Ich glaube schon, daß Kino ein stärkeres Medium als Literatur ist”, schrieb Ilse Aichinger zuletzt. Lucio Fulcis Meisterwerk Una lucertola con la pelle di donna ist ein Nachweis, dass diese Ausssage stimmen kann. Darum lässt sich auch nicht viel Adäquates schreiben über diesen Film, darum versagt hier recht bald die Literatur, d.h. die Sprache. Es ist ein Film über das Innen und das Außen, die Psyche und Fleisch, das Lustprinzip und das Realitätsprinzip, darüber, dass wir in unseren Träumen und den Bruchstücken des Imaginären den Spuren des Realen begegnen. Denn natürlich hat Carol Julia getötet. Wir haben es ja gesehen, wollten diesen Moment sogar in uns für die Ewigkeit festhalten. Eine dezidierte Aufschlüsselung des Films wäre aber weniger eine Nacherzählung seiner Kriminalgeschichte, sondern – natürlich – eine substanzielle Exegese der Psychoanalyse.

Una lucertola con la pelle di donna, ein sehr wichtiger Film in meiner Karriere, ist ein vollständig traumartiges Werk, an den Rändern des Realen wie des Imaginären” (Lucio Fulci). Was kann, was sollte Kino überhaupt anderes sein?

 

Bild-/Tonträger:

DVD/Blu-ray/Soundtrack: Una lucertola con la pelle di donna (Studiocanal, 2015), Ton: Französisch/Italienisch/Englisch, Bildformat: 1.85:1, inkl. Soundtrack-CD (Ennio Morricone).

 

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