Am Körper des Kinos – Mario Bavas LA FRUSTA E IL CORPO (1963)

La Frusta e il corpo (Der Dämon und die Jungfrau, Mario Bava, 1963)

Es war sicher dem kürzlichen Tod der wunderbaren israelischen Sängerin und Schauspielerin Daliah Lavi geschuldet, dass ich mir den Film nun wieder einmal – nach einigen Jahren – angesehen habe. Dabei beginnt Der Dämon und die Jungfrau wie so viele gothic-horror-movies in dieser der Zeit, in der mit den Hammer-Filmen, den Poe-Verfilmungen Roger Cormans und eben den Filmen Mario Bavas die klassische Schauerliteratur in Pop-Art verwandelt wurde: Schatten, Kostüme, steife Figuren, die wie aufgespießte Schmetterlinge in schwelgerischen historischen Kulissen ihre Textzeilen aufsagen.

Doch viel Zeit verbringt Bava damit nicht. Nach der Ankunft Christopher Lees im Haus der Familie werden die Verhältnisse von ihm recht schnell klargestellt: Lee ist Dracula und Vampirfilme sind Sex-Filme. Es entspinnt sich bald ebenso eine sado-masochistische Beziehung zwischen Lee und Lavi (der italienische Titel La Frusta e il corpo ist da ebenso eindeutig wie der englische The Whip and the Body) wie auch eine sich von Minute für Minute steigernde, sogartige erotische Beziehung zwischen dem Betrachter und Mario Bavas Kamera- und Lichtführung.

Bava lässt Lees Gesicht über Lavi in grün auftauchen, fährt ganz nah ran, taucht es dann in leuchtendes rot – während Lee den Mund öffnet. Zunehmend werden dabei die Farbdramaturgie und der Bildaufbau abstrakter, es geht irgendwann nur noch um Intensitäten und das Begehren, formal wie inhaltlich. Wer hat eigentlich gesagt, dass Mario Bava – einer der großen Maestri des Kinos – lediglich ein Stilist gewesen sei, der keine Geschichten erzählen konnte?

Die Story, sie hat mich tatsächlich nicht interessiert: Exposition, Mittelteil, Ende, Moral, das interessiert auch Bava nicht, sein Interesse gilt nur Lee – der irgendwann tot ist, aber dann doch wieder auch nicht – und Lavi, der Kamera und dem Licht, der reinen Verführung, dem, was zwischen den beiden und was zwischen uns und seinen Bildern geschieht. Ein Kameraschwenk über eines dieser immer schöner werdenden Bilder, ganz kurz nur, und man möchte das Bild für die Ewigkeit festhalten. Aber das geht nicht. Denn Kino, das ist Einschreibung von Bewegung. So gönnt uns Bava das eine Bild auch nicht sehr lange, er gibt uns stattdessen noch viel mehr, entregelt vollkommen unsere Wahrnehmung, unsere Sinne, lässt uns zunehmend in einen stetigen Fluss gemäldehafter Bild eintauchen. Kein Zweifel: Dario Argento, aber auch Sergio Martino, der mit diesem Film als Regie-Assistent seine Karriere begann, waren gelehrige Schüler Mario Bavas.

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Die lebenden Toten und die toten Lebenden – Nachruf auf GEORGE A. ROMERO

“Les Morts gouvernent les Vivants” (“Die Toten regierenden die Lebenden”) – Auguste Comte (Soziologe), 1891.

Am 16. Juli starb der 1940 in der Bronx geborene George A. Romero. Wie beim Tod von David Bowie, so beschlich mich noch einmal das Gefühl, dass da jemand (dann doch) von uns gegangen ist, der eigentlich nicht gehen konnte, der in seiner Einmaligkeit und seiner (Pop-)Kultur prägenden Unverwechselbarkeit immer dazu gehören, immer da sein musste.

Night of the Living Dead, 1968

Die Toten kehren zurück – das war seine Erzählung, etabliert in seiner Zombie-Trilogie Night of the Living Dead (1968), Dawn of the Dead (1978) und Day of the Dead (1985). Man kann sich die Wirkung, die Dawn of the Dead seinerzeit auf uns hatte, heute kaum noch vorstellen. Der „Kaufhauszombie“, wie man den Film damals nannte, hat Seherfahrungen und Filmgeschichte geprägt, danach ein ganzes Genre ins Leben gerufen.

Doch zunächst gab es in den Achtzigern die „Horrorvideo-Debatte“ und „Mama, Papa, Zombie“ im Fernsehen. Zombie- und Kannibalenfilme wurden Reihenweise wegen „Gewaltverherrlichung“ beschlagnahmt, auch die Videokassetten des immer wieder in neuen Fassungen veröffentlichten „Kaufhauszombie“. Wie Argento, Fulci und Lenzi, so wurde auch Romero für uns ein Held „verbotener Filme“, die man gerade deswegen natürlich sehen musste.

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Dark Leitmotivs: Mediabooks und Soundtracks im Horrorfilm – highlights, failures und misses

Am Anfang war die Stille – nur das Huschen der Rattenpfoten auf dem steinernen Fussboden, ein sich knarrend öffneter Sarg. Der erste erfolgreiche Horror-Tonfilm –  Dracula (1931) von Tod Browning mit Bela Lugosi – hatte noch keine Filmmusik. Es war dann Franz Waxmans Score zu Bride of Frankenstein (James Whale, 1935), der erstmals das Leitmotiv in das Genre einführte.

Nach den Universal-Klassikern der 30er und 40er Jahre brach dann in 60er Jahren die Zeit der leitmotivischen Musik im Horrorfilm – und verwandter Genres – eigentlich erst an, eine Zeit, die sich bis Ende der 80er Jahre fortsetzen sollte. Während heute das „atmosphärische Sound-Design“ vorherrscht, hat sich in diesen drei Jahrzehnten die Verbindung durchkomponierter Soundtracks mit der dunklen Seite der Psyche bei unzähligen Kinogängern in die Erinnerung eingegraben.

Eigentlich ideal für unsere Zeit der Veröffentlichungen aufwendiger Mediabooks, bei denen es in der Tat mittlerweile einige highlights, failures und misses der Verfügbarkeit herausragender Filmmusiken des Genres mit dem Film selbst gibt. Eine kleine Reise durch diese Veröffentlichungen, natürlich rein subjektiv geprägt und doch auch als Empfehlungen und Anregungen gedacht:

highlights

 

Una Lucertola Con La Pelle Di Donna [A Lizard In A Woman’s Skin] (Regie: Lucio Fulci, 1971)
Musik: Ennio Morricone
Veröffentlichung: Studiocanal/luciofulci.fr, Blu-ray, DVD und CD (Frankreich, 2015). Ton: Französisch, Italienisch und Englisch.

Zunächst vielleicht das Ideal. Nicht nur, dass Una Lucertola Con La Pelle Di Donna (Besprechung auf Lichtblitze) von Lucio Fulci einer der vielleicht besten Filme der ganzen 70er Jahre ist, Ennio Morricones wunderbarer Easy Listening-, Progressive- und Fusion-Jazz-Soundtrack ist zugleiche eine der besten, wenn auch unbekannteren Filmmusiken des Maestro. Die Zusammenarbeit des Major-Labels Studiocanal mit seinen Ressourcen und Vertriebswegen mit der französischen Fanseite luciofulci.fr mit ihrer Kompetenz und Leidenschaft machte dieses Mediabook, das selbstverständlich auch die Soundtrack-CD enthällt, erst möglich.

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NEO-GIALLO – THE NEON DEMON (2016) von Nicolas Winding Refn

The Neon Demon (Nicolas Winding Refn, 2016)

A movie love to hate: The Neon Demon ist eine coming of age-Geschichte der Hauptprotagonistin Jesse (Elle Fanning) in der hypermodernen Oberflächenwelt des Modell-Business und der Synthesizer-Klänge mit ihren dumpfen Rhythmen, Klangflächen und kleinen verführerischen Melodien (des deep base und trance). Er ist auch die Geschichte des unschuldig-reinen Mädchens vom Lande, das in der archischen Urhorde des Business den drei bösen (weil: coming out of age) Hexen Ruby, Sarah und Gigi (Jena Malone, Abbey Lee Kershaw und Bella Heathcote) begegnet, die sich am Schluss – das Urbild des archaisch-magischen Rituals schlechthin – die Kraft des Feindes mit dessen Körper und Auge einverleiben – das Auge, weil es in Nicolas Winding Refns Film um das Sehen geht. Erzählt wird dies in einer Bildsprache, die vollkommen scham- und haltlos mit der Selbstzweckhaftigkeit des Schönen, der Farben, des Lichts, der Rhythmen, der Formen und des Goldenen Schnitts verführt.


The Neon Demon

Das, was man in der Filmwissenschaft mittlerweile „Neo-giallo“ nennt, hat micht nie überzeugt – bis zu The Neon Demon. Denn genau das, was den giallo eigentlich ausmachte, schafft Refn hier in beeindruckender Art und Weise erstmals wieder neu: die Verbindung eines rein affirmativen und performativen Kinos der Schöhnheit und der Verführung mit den finstersten Ausprägungen der menschlichen Psyche und dem Archaischen. Der Film hat dabei kein wirkliches Narrativ, er liefert diesbezüglich nicht mehr als ein paar zweckdienliche Hinweise, er hat folglich auch keine Moral. Wie für Argento, so scheint auch für Refn Moral hier vielmehr eine Frage eines „ästhetischen Verhaltens“ (Nietzsche) zu sein. So lautet der zweckdienlichste Hinweis in dem Schlüsselsatz des Films dann auch: „Schönheit ist nicht alles – Sie ist das Einzige.“

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