
SISTERS (1973) von Brian De Palma
Sisters (Schwestern des Bösen, Brian De Palma, 1973)
Man lächelt unweigerlich beim Schlussbild von Brian De Palmas Sisters, seinem vielleicht erzählerisch geschlossensten Film: Privatdetektiv Larch (Charles Durning) hängt an einem Telegrafenmast an einer kleinen verlassenen Bahnstation in Kanada, ebenso pflichtbewusst wie obsessiv die Couch beobachtend, in der sich die Leiche befindet – daneben teilnahmslos eine Kuh. Die Szenerie verbindet sich ironisch mit dem Anfang des Films, einer Art voyeristischen Trash-Fernseh-Show, bei der Mörderin und Opfer zwei Preise gewinnen. Sie, das Model Danielle Breton (Margot Kidder), die an einer dissoziative Identitätsstörung (multiplen Persönlichkeitsstörung) leidet, gewinnt ein Messerset; er, der Farbige Phillip Woode (Lisle Wilson) einen Gutschein für ein afrikanisches Restauraunt. Eine hochgradig ironische Klammer schließt sich. Denn es geht nicht zuletzt um Identitäten und deren Abspaltungen: als Zuschreibungen, Projektionen, Spiegelungen und Voyeurismen.
Sisters: Die ironische Klammer
Das sich seiner filmtechnischen Mittel stets hochgradig bewusste Kino De Palmas, verliert sich dieses eine Mal nicht in formalen Vorführungen, sondern bleibt stets bei der Psychologie seiner Figuren und seinem sujet, vermittelt tatsächlich durch seine gespaltene Hauptfigur Danielle Breton/Dominique Blanchion (brillant und subtil gespielt von Margot Kidder) emotionale Intensität und Tiefe.
De Palma, dessen große Stärke es stets war, die handwerkliche Brillanz Alfred Hitchcocks szenen- und sequenzenweise aufzugreifen, zu zitieren und zu rearrangieren, erreicht diese Geschlossenheit, indem er mit Sisters diese Methode nun auf zwei ganze Filme Hitchcocks und deren sujets überträgt: Psycho (1960) und Rear Window (Das Fenster zum Hof, 1954). Dadurch kommt die große Schwäche De Palmas in diesem Film nicht zum Tragen, denn im Grunde ist er ein Autorenfilmer, der nichts zu erzählen, der keine sujets hat. Als solcher war er innerhalb New Hollywoods wohl der erste herausragende Regisseur eines postmodernen Zitier- und Metakinos – später von Quentin Tarantino so erfolgreich in den Mainstream erhoben -, dem die formale Überwältigung und Manipulation des Zuschauers, das L’art pour l’art cineastischer Bezüge und das freie Flottieren der Zeichen und Bedeutungen stets wichtiger ist, als Psychologie, sujets oder geschlossene Narrative.
Margot Kidder
Sisters ist, wie gesagt, hierbei die große Ausnahme in De Palmas Werk, weil er hier Hitchcocks sujets – Identität und deren Abspaltungen als Zuschreibungen, Projektionen, Spiegelungen, Voyeurismen – tatsächlich durchhält und auf alle Figuren überträgt, wie auch schließlich auf den Zuschauer selbst, bis dass dieser eben auf seinen eigenen Voyerismus zurückverwiesen wird, indem sich die ironische Klammer des Films am Schluss schließt. Dazwischen erreicht der Film eine affektive Intensität und psychologische Sensibilität, wie man sie etwa auch aus dem Kino David Cronenbergs – so aus Dead Ringers (Die Unzertrennlichen, 1988) – kennt.
Als wir dann an den Punkt angelangen, an dem wir als Zuschauer den endgültigen Einblick in das Trauma und die gespaltene Identität von Danielle/Dominique erwarten, zeigt uns De Palma dann nicht das Innenleben der Hauptfigur, sondern die Ängste und Projektionen von Grace Collier (Jennifer Salt), der Reporterin, deren stets etwas enervierende political correctness-Haltung, und damit vermeintliche Sicherheit, nun auch in sich zusammenstürzt. Am Ende bleiben auch für sie, wie für den Zuschauer, nur die Projektionen der Angst der eigenen Psyche und deren Schmerz. Das ist ganz großes Psychothriller-Kino, und auch in dieser Sequenz des Unbewussten gelingt es De Palma, seine Zitierfreude – von Freaks (Tod Browning, 1932) bis zum Werk Luis Buñuels – ganz dem Narrativ, dem sujet unterzuordnen.
De Palma hat sich in seinen Bezugnahmen auf Hitchcock zumeist an Psycho, Rear Window und Vertigo (1958) orientiert, seiner postmodernen Haltung haftete dabei jeweils ein formal sehr beherrschender, manipulativer und dadurch sehr männlicher Blick an. Doch Sisters folgt eher weiblichen Sensibilitäten, da De Palma hier die Psychologie nicht nur als Thriller-Effekt vorführt, sondern sich ihr stellt, sich dabei gehen und für das sujet empfänglich werden lässt. Dadurch erreicht De Palma – einmalig in seinem Werk – tatsächlich die psychologische Intensität von Alfred Hitchcocks Marnie (1954).

Marnie (Alfred Hitchcock, 1954)
So ist Sisters der Film Brian De Palmas, mit dem er seinem Ruf als Hitchcock-Schüler wohl am gerechtesten wird, weil er nicht nur Hitchcocks formale Hoheit, sondern auch dessen – sehr wohl vorhandenen – Sensibilitäten für das menschliche Drama beeindruckend widerspiegelt. So wie das große Schiff im Hafen in der Straße von Marnies Kindheit, das eben nicht nur ein beliebiges, postmodernes Zeichen ist, sondern bedrohliches Symbol eines verdrängten, tief sitzenden aber dadurch umso existenzielleren Schmerzes.
Hier eine ausführliche Synopsis von Sisters.
Bild-/Tonträger:
DVD: “Sisters – Schwestern des Bösen” (Epix Media, 2005) Bild: 1.85:1. Ton: Deutsch/Englisch.
Soundtrack-CD: Bernard Herrmann: “Sisters” (Soundtrack Listeners Communications, 1996)
Hits: 1914